Piehnat
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Leben

Meine Stille ist kein Fehler im System

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Das Leben als Introvertierter ist kein Drama, aber manchmal fühlt es sich an wie eins, das keiner versteht. Für viele wirkt Schweigen verdächtig, als wäre man arrogant, distanziert oder einfach zu stolz, ein Wort zu sagen. In Wahrheit steckt dahinter mein Wunsch, niemandem weh zu tun, und die Angst, mich in diesem ganzen zwischenmenschlichen Durcheinander zu verlieren. Ich war schon immer jemand, der lieber denkt, bevor er spricht, und manchmal so lange denkt, bis das Gespräch schon längst vorbei ist.

Früher war es ein seltsames Gefühl, still in einer Welt zu sitzen, die nie leise ist. Man sitzt irgendwo in der Ecke, während um einen herum das Leben tobt, Lachen, Stimmen, Bewegung. Man ist da, aber irgendwie auch nicht. Die Leute halten dich für komisch oder unsozial, während du dich einfach nur nach Ruhe sehnst. Und natürlich wird man schnell zur Projektionsfläche für alles, was andere nicht verstehen. Zu still, zu anders, zu viel oder zu wenig von irgendwas.

Ich habe irgendwann aufgehört, mich zu verstellen. Früher habe ich mir Mühe gegeben, auf Partys zu gehen, mich einzufügen, mitzulachen. Ich habe versucht, normal zu wirken, dieser Mensch zu sein, der scheinbar mühelos redet, lacht und Kontakte pflegt. Heute weiß ich, dass das einfach nur anstrengend war. Ich habe es gelassen. Ich passe da nicht rein und das ist für mich völlig in Ordnung. Wer mich nicht versteht, soll es bleiben lassen. Wenn jemand irgendeinen Blödsinn über mich glaubt, dann bitte, viel Spaß damit. Ich habe keinen Erklärungsbedarf mehr.

Während andere Corona verfluchten, weil sie plötzlich isoliert waren und niemanden mehr treffen konnten, war das für mich ehrlich gesagt kein Unterschied zu sonst. Ich habe die Einschränkungen nicht wirklich gespürt, weil mein Alltag schon vorher so aussah. Ich habe außer meiner Frau eh niemanden, den ich regelmäßig treffe, und das fehlt mir auch nicht. Früher hatte ich ein paar Freunde, diese typischen Leute, die man nur noch ab und zu sieht und mit denen man immer wieder sagt, dass man sich mal treffen müsste. Aber das wurde mit der Zeit immer weniger. Wenn du nie Lust auf Feiern hast, keine langen Gespräche führst und lieber schreibst als redest, dann sortiert sich der Freundeskreis von ganz allein aus.

Und dann kam irgendwann Krankheit dazu. Nicht die, die man mit einer Tablette und etwas Schlaf wieder loswird, sondern die, die bleibt. Und aus dem Typen, der immer für andere da war, auch wenn es gegen sein eigenes Gefühl ging, wurde plötzlich jemand, der selbst mal Hilfe gebraucht hätte. Und in dem Moment, in dem ich sie gebraucht hätte, war niemand mehr da. Gar keiner. Das war der Punkt, an dem mir klar wurde, dass diese sogenannten Freunde nur da waren, solange ich funktionierte. Seitdem bin ich allein. Nicht einsam, einfach nur allein.

Meine Hobbys waren auch nie wirklich kompatibel mit anderen. Ich konnte mich schon immer stundenlang hinsetzen und zb an Raspberry Pis herumbasteln, Dinge aufsetzen, ausprobieren, konfigurieren. Ich verliere mich in solchen Sachen, weil sie mir Ruhe geben. Früher habe ich auch gern mein Rennrad geschnappt und einfach hundert Kilometer für mich allein abgespult, durch die Landschaft, mit nur mir, dem Wind und dem Rhythmus der Pedale. Genau wie beim Zeichnen, das schon immer meine Flucht aus der Realität war. All das fehlt mir heute, weil ich es durch die Krankheit nicht mehr so kann. Mein Kopf und meine Hände machen, was sie wollen, und ich muss zusehen, wie etwas, das früher so leicht war, plötzlich unmöglich geworden ist. Es tut weh, weil es sich anfühlt, als würde ein Stück von mir verschwinden.

Ich lese gern, Bücher und Blogs, einfach weil es mich runterbringt und weil Worte mich oft besser verstehen als Menschen. Aber selbst da fällt mir das Kommentieren oft schwer. Ich denke zu viel darüber nach, was ich schreibe, ob es richtig rüberkommt oder zu viel ist. Trotzdem denke ich mir, wenn man Menschen und ihre Texte wirklich gern liest, kann man ihnen das ruhig sagen. Auch wenn es bedeutet, über den eigenen Schatten zu springen. Da wären zb Tommis Bilder, die er regelmäẞig auf seinen Radtouren macht, ich mag die wirklich sehr, tippe es ihm oft in die Kommentare und denke beim nächsten mal "nee Bruder, du kannst das nicht schon wieder schreiben" und lasse es dann, damit er mich nicht für einen Stalker hält.

Vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum ich hier auf meinem Blog keine Kommentare aktiviert habe. Ich weiß, es klingt komisch, aber die Vorstellung, dass jemand etwas Nettes schreibt und ich dann stundenlang darüber nachdenken muss, wie ich darauf antworte, stresst mich. Es ist ja nicht so, dass es mir völlig egal ist, wer meine Gedanken liest. Natürlich freut mich eine kleine Resonanz, in welcher Form auch immer. Aber gleichzeitig fühle ich mich dann innerlich gezwungen, zu reagieren, und genau das raubt mir wieder die Ruhe, die ich beim Schreiben eigentlich suche.

Ich schreibe lieber, als zu reden. Worte fühlen sich richtiger an, wenn sie aus mir herausfließen, statt irgendwo zwischen Gedanken und Zunge hängen zu bleiben. Schreiben ist meine Art, ehrlich zu sein. Kein Filter, kein Smalltalk, keine Masken. Ich rede mit mir selbst, klopfe mir die Gedanken aus dem Kopf, bis sie leichter werden.

Geburtstage, Weihnachten und all das sind für mich der Inbegriff von Heuchelei. Diese Tage im Jahr, an dem plötzlich alle Menschen, die mich den Rest des Jahres nicht kennen, plötzlich so tun, als würden sie sich für mich interessieren. Falsche Wünsche, erzwungene Anrufe, gespielte Freundlichkeit. Ich will an diesen Tagen einfach meine Ruhe. Kein Kuchen(obwohl, mir so ne geile Benjamin Blümchen Torte allein reinzimmern jetzt nicht unbedingt schlecht klingt), keine Menschen, keine Aufmerksamkeit. Einfach nur Stille und das Wissen, dass am nächsten Tag wieder alles normal ist.

Und Gäste, ja, das ist noch so ein Kapitel. Wenn Besuch kommt, der nicht ausbleibt, wenn man mit seiner Frau zusammenlebt, verziehe ich mich in ein anderes Zimmer und hoffe, dass keiner meinen Namen ruft.

Musik dagegen versteht mich. Musik redet nicht dazwischen und fragt nicht, warum ich so ruhig bin. Sie ist einfach da. Wenn die Kopfhörer sitzen, wird die Welt leiser und alles wird etwas erträglicher. Ich kann vieles vergessen, aber nicht meine Musik. Ohne sie wäre ich längst untergegangen.

Ich gehe auch gern allein raus, einfach spazieren. Alleinsein ist für mich kein Makel, sondern Erholung. Wenn Leute mich dabei mitleidig anschauen, denke ich mir nur, lasst mich einfach in Ruhe. Ich brauche keinen von euch, um glücklich zu sein. Ich mag Menschen, eine ganz besonders, bei der ich mich seit Jahrzehnten frage, wie sie es mit mir aushält, aber sie tut es. Volle Liebe dafür. Sonst die, die bleiben, auch wenn man sich ewig nicht meldet. Der Rest darf gern draußen bleiben.

Vorstellungsgespräche und Gruppendiskussionen sind für mich jedes Mal eine Prüfung. Da geht es selten um Können, sondern darum, wer sich am besten verkauft. Ich weiß, dass ich mich dort verstellen muss, extrovertiert wirken, lächeln, reden. Ich kann das, aber jedes Mal fühlt es sich falsch an. Trotzdem gehört es wohl dazu, wenn man in dieser Welt überleben will.

Viele glauben, man müsse laut sein, um etwas zu erreichen, doch das stimmt nicht. Manche der erfolgreichsten Menschen waren still, konzentriert und in sich gekehrt, lieber denken, als dauernd zu reden. Erfolg hat nichts mit Lautstärke zu tun, eher mit Konsequenz, Geduld und der Fähigkeit, sich selbst treu zu bleiben.

Ich bin still, aber in mir passiert mehr, als die meisten Menschen mitbekommen. Ich brauche keine Bühne, kein Publikum und keine Bestätigung. Social Media erst recht nicht. Ich schreibe meine Gedanken auf, lass sie los und das reicht mir.

Hier gibt es keinen Kommentarbereich. Wenn du Fragen oder Anmerkungen zu diesem Post hast, schreib mir gern ne Mail oder blogge selbst dazu. Peace.

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  • b30 hat dich erwähnt: »Ich schreibe meine Gedanken auf, lass sie los und das reicht mir.« Danke dafür! [piehnat]
  • www.jansens-pott.de hat dich erwähnt