Piehnat
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Buntes

Was vom Radsport übrig blieb und andere Konstanten

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Wenn ich Posts wie den von Jan lese, muss ich immer daran denken, wie sehr sich meine Welt in Sachen Radsport verändert hat.

Es ist jetzt 25 Jahre her. Junge, bin ich alt. Damals war Radsport für mich nicht einfach ein Hobby oder Sport, das war mein verdammtes Leben. Die Aussicht, damit meine Brötchen, oder sagen wir realistischer, meine Schrippen zu verdienen, war nicht gerade aussichtslos. Alles drehte sich um Laktatschwellen, 7700er Dura-Ace, Carbo-Loading oder die Frage TIME Equipe oder LOOK PP296.

Aber wie wir alle wissen, ist das Leben so planbar wie ein Berliner Busfahrplan im Schneesturm. Es sollte also anders kommen. Ich und Glück im Leben, das ist eh so ein Running Gag mit traurigem Beigeschmack. Würde ich was auf Flüche geben, hätte ich längst einen Exorzisten bestellt. Aber lassen wir das. Jedenfalls war Radfahren immer meine Flucht, weg von zu Hause, weg von meinem Erzeuger, der es für eine pädagogisch wertvolle Maßnahme hielt, mich regelmäßig zusammenzuschlagen. Kopfhörer auf, aufs Rad und weg aus dieser beschissenen Realität. Im Verein hab ich darüber natürlich nicht geredet. Blaue Flecken erklärte ich mit „bin gestürzt“ oder „hab nicht rechtzeitig gebremst“ oder der kreativen Variante „der Hund hat mich angesprungen“. War eh egal, da war niemand zum Reden. Die anderen kamen aus den berühmten guten Familien mit Einfamilienhaus, Vorwerk Staubsauger und dem obligatorischen Golf III in Metallicgrün. Ich war der Typ ohne Markenklamotten, dem man erst mal ein Rad stellen musste, weil er keins hatte. Und dass ich dann auch noch schneller war als die anderen, hat mich jetzt auch nicht beliebter gemacht. Neid ist halt auch nur Hass in Adidasjacke.

Das änderte sich erst, als ich in die Landesauswahl kam. Plötzlich hatte ich die Chance, vielleicht doch noch was draus zu machen, ein halbwegs unbeschwertes Jahr zwischen Ausbildung und Radsport mit gestelltem Material, denn mit 287 Mark Ausbildungsvergütung kannst du dir vielleicht ne Luftpumpe leisten, aber keine Laufräder. Freunde hatte ich zu der Zeit keine, Bekannte oder Menschen zum Hallo sagen ja, aber echte Freunde, mit denen man über was reden kann, Fehlanzeige. Und ehrlich gesagt, das ist bis heute so geblieben. Wahrscheinlich bin ich daran auch selbst schuld. Ich war und bin der Meinung, Freunde belügt man nicht. Und um nicht zu lügen, hätte ich damals sagen müssen, was Sache war, woher die Wunden und blauen Flecken kamen. Und das ging halt nicht, schon allein aus Angst, dass mein Erzeuger es rausfindet und es dann zuhause aus Rache so richtig scheppert. Also blieb ich lieber allein. Der Umgang mit Freundschaften ist bis heute für mich ungefähr so verständlich wie Quantenphysik auf Ungarisch.

Und dann kam der große Knall, ein richtig übler Trainingsunfall, der meine Karriere beendete, bevor sie richtig losging. Neun Monate Krankenhaus und Reha, ohne einen einzigen Besuch, nicht mal ein „Gute Besserung“ auf ner schlecht gebastelten Klappkarte. Ich lag da, hab Deckenflecken gezählt und mich gefragt, ob das jetzt alles gewesen sein soll. Und dann kam der Einberufungsbescheid zur Bundeswehr. Danke auch, Vater Staat, für diese subtile Art von Lebenshilfe. Aber gut, irgendwas musste ja passieren.

Radsport blieb trotzdem ein Teil meines Lebens, als Fan, als Fernsehzuschauer, als jemand, der sich jede Tour reinzog und jede Zeitschrift verschlang. Ich bin auch noch gefahren, regelmäßig, einfach um den Kopf frei zu bekommen.

Aber die Begeisterung für den Profisport hat irgendwann nachgelassen. Rückblickend lag das wohl an dieser kleinen Sache namens flächendeckendes Doping. Danke Ulle, danke Lance Armstrong, danke Alberto Contador… Wenn ich heute an Profiradsport denke, dann denke ich, der mit der besten Apotheke gewinnt. Vielleicht tue ich damit vielen engagierten Fahrern Unrecht, aber ganz ehrlich, mir ist das inzwischen so egal wie ein Platten in der Rollentrainings-App. Wenn mir das vor 25 Jahren jemand gesagt hätte, ich hätte ihn ausgelacht und gefragt, ob er zu heiß gewachste Ketten geschnupft hat.

Heute habe ich nicht mal mehr ein Rennrad, seit Jahren nicht. Bis vor kurzem hatte ich noch ein Fixed Gear Bike, nix Besonderes, aber immerhin. Das habe ich erst neulich verkauft, für ein paar Euro. Weil Krebs eine verdammte Bitch ist, Krankenkassen Hurensöhne sind und ich wenigstens noch nen bisschen auf dieser Welt bleiben wollen würde. Und vielleicht waren die letzten Jahre der Moment gewesen, in dem ich zum ersten Mal nicht der Typ war, der hilft, sondern der Typ, der selbst mal Hilfe gebraucht hätte. Nur dass das natürlich nicht funktioniert hat. Die paar Leute, die ich beinahe Freunde genannt hätte, waren auch plötzlich weg. Klassisch. Eine weitere Konstante, auf die ich mich verlassen kann. Sobald du nicht mehr funktionierst, bist du raus. Kenn ich. War nie anders.

Aber wenigstens ist da noch sie. Meine bessere Hälfte. Die, die seit Jahren mit mir durch jedes noch so tiefe Tal geht. Die nie weggesehen hat, nie abgetaucht ist.. Allein wegen ihr lohnt es sich, diesen ganzen kaputten Laden, den ich mein Leben nenne noch ein bisschen weiter offen zu halten.

Vielleicht fahr ich ja auch eines Tages wieder Rennrad. Sicher nicht mehr in Radlerhosen und ganz bestimmt erst dann, wenn ich nicht mehr aussehe wie ein dank Medikamenten aufgedunsener Wal in Menschenform. Aber vielleicht. Wer weiß.

PS: Ich bin Jan wirklich dankbar für seinen Post. Er hat mich dazu gebracht, das alles mal zu reflektieren und aufzuschreiben. Und genau das ist der Grund, warum ich Blogs mag. Weil man völlig ahnungslos durchscrollt, einen Post liest und plötzlich hängt man fest, nicht im Feed, sondern in seinen eigenen Erinnerungen. Und findet vielleicht sogar sowas wie einen Abschluss. Also danke, Jan, auch wenn das vermutlich nicht deine Intention war. War trotzdem wichtig, für mich.

Hier gibt es keinen Kommentarbereich. Wenn du Fragen oder Anmerkungen zu diesem Post hast, schreib mir gern ne Mail oder blogge selbst dazu. Peace.