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Ecosia - Zwischen grünem Anspruch und grauer Realität
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Ecosia, die grüne Suchmaschine. Klingt erstmal nach einem richtig guten Deal. Du googelst äh suchst nach veganen Brownies, und irgendwo in Uganda wächst dafür ein Baum. Aber je tiefer ich mich in dieses von mir seit Jahren täglich genutzte Projekt reinwühle, desto mehr stellt sich mir die Frage: Ist das hier echtes digitales Öko-Tum oder einfach nur cleveres Marketing mit ein bisschen Blattgrün oben drauf?
Nach eigenen Angaben hat Ecosia bis heute 235 Millionen Bäume gepflanzt. Klingt beeindruckend, und hey, die machen das nicht auf Monokultur-Plantagen mit Plastikspritzanlage, sondern setzen auf heimische Arten, agroforstwirtschaftliche Projekte, Biodiversität, Wasserrückhalt, Bodenaufbau.. alles nice. Sie zeigen dir sogar monatlich, wohin das Geld geht, wie viele Bäume du persönlich schon ersucht hast und mit welcher Baumart du angeblich die Welt gerettet hast. Das Ganze ist B Corp-zertifiziert, sie verkaufen keine CO₂-Zertifikate und wollen wirklich was verändern. Respekt dafür. Aber.
Dann kam der Moment, in dem sie anfingen, mehr sein zu wollen, als eine Baumpflanzmaschine mit Eingabefeld. Ecosia will jetzt ein Stück digitale Weltordnung mitgestalten und baut gemeinsam mit Qwant die sogenannte European Search Perspective, ein eigener europäischer Suchindex, unabhängig von Google und Microsoft, datenschutzfreundlich, transparent, souverän.
Klingt auf dem Papier so edel wie ein EU-Positionspapier zur strategischen Unabhängigkeit. Technisch aber ist es eine andere Nummer. Google und Bing crawlen seit Jahrzehnten alles, was online rumliegt, haben unfassbare Rechenpower sowie Milliarden an Spielgeld. Und Ecosia? Naja, die fangen gerade an. Der Start konzentriert sich auf Frankreich und Deutschland, der Rest kommt irgendwann später, vielleicht. Solange wird noch mit Bing-Ergebnissen kombiniert. Also ja, es ist ein Anfang. Aber auch noch sehr viel Vision.
Während der EUSP also in Paris aufgebaut wird, hat Ecosia sich noch was anderes vorgenommen. KI. Denn was wäre eine moderne Suchmaschine im Jahr 2025 ohne irgendeinen KI-Mist, der dir in einem bunt blinkenden Kasten erklärt, was du angeblich wissen willst? Ecosia nennt das „AI Summary“, also so eine Zusammenfassung der Suchergebnisse mit Hilfe von generativer KI. Die Idee, du musst weniger klicken und bekommst direkt deine Antwort. Der Haken, jede dieser Anfragen frisst ein Vielfaches an Energie, zehnmal so viel wie eine normale Suchanfrage, vielleicht sogar mehr, je nachdem, wie viel Bullshit der Algorithmus durchkauen muss, um deine neu entdeckten Pickel oder deine Pilzvergiftung zu analysieren. Und das ist der Punkt, wo’s für mich anfängt zu beißen. Die eine Hälfte des Unternehmens baut Solaranlagen und pflanzt Wälder, die andere führt Features ein, die das alles in einer Wimpernschlagzeit wieder auffressen könnten.
Zwar produziert Ecosia nach eigenen Angaben doppelt so viel Ökostrom wie sie für ihre klassische Suche brauchen, aber diese Bilanz bezieht sich eben nicht auf KI-Nutzung. Die KI-Systeme laufen über Infrastruktur von Partnern wie Microsoft und OpenAI. Und jetzt kommt der Knackpunkt, Ecosia selbst hat keinen blassen Schimmer, wie viel Strom oder Wasser da eigentlich durchgeht. CEO Christian Kroll hat das in Interviews ziemlich klar benannt. Sie bekommen diese Infos nicht. Keine detaillierten Angaben zu Energieverbrauch, keine Zahlen zum Wasserbedarf der Rechenzentren. Alles hängt am guten Willen der Partner, und der lässt bei Transparenzfragen bekanntlich gerne mal aus. Für ein Unternehmen, das sonst stolz jeden gepflanzten Baum auf der Weltkarte einträgt, ist das eine ziemliche Blackbox.
Ecosia behauptet zwar, KI-Funktionen nur dann einzusetzen, wenn die ökologische Bilanz stimmt, in der Praxis ist die KI im Browser aber längst aktiv. Sie basteln sogar an Ideen, dass man für energieintensivere Features weniger virtuelle Belohnungssamen bekommt. Das ist sympathisch gedacht, aber für mich auch irgendwie Symbolpolitik. Wenn du den Leuten schon Tools gibst, die zehnmal mehr Strom brauchen, musst du sie auch ehrlich über die Konsequenzen aufklären. Und zwar nicht mit hübschen Icons, sondern mit echten Zahlen. Ohne die bleibt’s halt ein grüner Anstrich mit ordentlich Graubereich.

Und während das alles passiert, der Aufbau des europäischen Index, die KI-Spielereien, die wachsende Infrastruktur... stellt sich mir die Frage: Wie viel von dem ursprünglichen „wir machen das fürs Klima“-Geist bleibt eigentlich noch übrig? Oder läuft Ecosia Gefahr, auf dem Weg zur digitalen Relevanz genau das zu verlieren, was sie mal besonders gemacht hat? Klar, die Vision ist großartig. Unabhängige Suche, transparente Algorithmen, Förderung nachhaltiger Konsumentscheidungen, und kein Arschloch kann die Firma kaufen, weil sie im Steward-Ownership-Modell hängt. Aber Idealismus allein reicht nicht, wenn die technischen Nebenwirkungen anfangen, größer zu werden als der ökologische Nutzen.
Ecosia ist heute nicht mehr nur ein sympathisches Nischenprojekt mit Baumromantik. Es ist ein Unternehmen, das gleichzeitig Google Konkurrenz machen, den Planeten retten und dabei nicht zur Datenkrake werden will. Ein Spagat, der fast zwangsläufig weh tut. Und während sie mit Solarstrom ihre Server füttern und grüne Buttons in die Suchergebnisse einbauen, bleibt eine zentrale Frage offen, wie viel digitale Infrastruktur kannst du bauen, ohne deinen eigenen ökologischen Fußabdruck zu sprengen?
Nicht blind alles gut finden, weil’s grün leuchtet. Sondern kritisch bleiben. Hinterfragen. Verlangen, dass auch der KI-Stromverbrauch auf den Tisch kommt. Nur so kann ein Projekt wie Ecosia langfristig glaubwürdig bleiben. Nicht, weil’s perfekt ist, sondern weil es sich hoffentlich ehrlich genug macht, auch seine Widersprüche zu zeigen.