Piehnat
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Das kleine Dorf Internet - Warum man online immer wieder denselben Leuten begegnet

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Es beginnt immer damit, dass man sich fragt, warum das Internet, das doch so unendlich groß und vielfältig sein sollte, sich manchmal anfühlt wie ein winziges Dorf, in dem man ständig denselben Leuten über den Weg läuft. Nicht nur einmal, sondern über Jahrzehnte und über verschiedene Plattformen hinweg. Man sitzt wie ich gestern in einem Discord-Server, der sich mit einem obskuren Thema wie der Wiederbelebung alter Linux-Distributionen beschäftigt, und plötzlich taucht wieder dieses eine Gesicht auf, das man schon vor zwanzig Jahren auf Facebook gesehen hat, als man sich über die Vorzüge von Slackware 3.0 stritt, später auf Twitter, wo es um die moralische Verwerflichkeit von Systemd ging, und jetzt, im Jahr 2025, diskutiert er mit derselben Inbrunst über die ethischen Implikationen von Wayland. Und man denkt sich nur „Nicht schon wieder du.“ Wie kann das sein in einem Land mit über achtzig Millionen Einwohnern? Wie schafft es das Internet, dass man sich wie in einer endlosen Zeitschleife fühlt, in der dieselben Diskussionen mit denselben Menschen immer wieder auftauchen, nur mit anderen Plattformen als Kulisse?

Die Antwort liegt nicht in Hogwarts-Magie oder kosmischem Zufall, sondern in einer Mischung aus menschlicher Natur, sozialer Psychologie und der Art und Weise, wie Algorithmen uns durch das digitale Leben lotsen. Es beginnt mit einem Prinzip, das Soziologen Homophilie nennen, ein kompliziertes Wort für etwas, das im Grunde ganz einfach ist. Menschen suchen sich unbewusst andere Menschen, die ihnen ähneln. Gleich und gleich gesellt sich gern, und das gilt besonders im Internet, wo man nicht durch Zufall in einem Café landet, sondern gezielt nach Themen und Gemeinschaften sucht, die einen interessieren. Wenn man sich also wie ich seit Jahren für Nischenthemen wie Retro-Gaming, Datenschutz oder die Feinheiten alter Linux-Distributionen begeistert, dann ist der Pool an potenziellen Gesprächspartnern plötzlich nicht mehr achtzig Millionen groß, sondern schrumpft auf vielleicht ein paar Tausend, die sich in denselben digitalen Ecken herumtreiben. Soziale Netzwerke neigen dazu, sich um gemeinsame Interessen, Werte oder sogar Abneigungen zu gruppieren und das führt dazu, dass man immer wieder auf dieselben Leute trifft, weil sie einfach dieselben Themen verfolgen wie man selbst.

Doch damit nicht genug. Es gibt noch einen zweiten Mechanismus, der dafür sorgt, dass diese kleinen Gruppen stabil bleiben, die triadische Schließung. Jo, das klingt wie ein Fachbegriff aus der Mathematik, aber im Grunde bedeutet es nur, dass Menschen dazu neigen, sich mit den Freunden ihrer Freunde zu verbinden. Wenn Person A mit Person B befreundet ist und Person B mit Person C, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass A und C irgendwann auch in Kontakt treten. Diese Dynamik führt dazu, dass sich in sozialen Netzwerken stabile, eng verbundene Gruppen bilden. Fast wie kleine Dörfer, in denen jeder jeden kennt. Und weil diese Gruppen oft um gemeinsame Interessen oder Überzeugungen organisiert sind, wandern sie gemeinsam von Plattform zu Plattform, als wären sie ein Schwarm Vögel, der immer wieder dieselben Rastplätze anfliegt. Man verlässt Facebook, weil es einem zu kommerziell wird, wechselt zu Twitter, weil es dort mehr Diskussionen gibt, verlässt es, weil es zu einer Fascho-Brutstätte mutierte und landet schließlich in einem Discord-Server, nur um festzustellen, dass dieselben Leute, mit denen man vor Jahren über die Vorzüge von Open-Source-Software diskutiert hat, auch hier schon auf einen warten.

Und dann sind da noch die Algorithmen. Plattformen wie Facebook, Twitter sind nicht neutral. Sie beobachten, was man mag, welche Themen einen interessieren, mit wem man interagiert, und sie nutzen diese Informationen, um einem immer mehr von demselben zu präsentieren. Das nennt man Filterblasen oder Echo Chambers, und es bedeutet im Grunde, dass man in einer digitalen Blase lebt, in der einem ständig dieselben Meinungen, Themen und auch dieselben Menschen begegnen. Algorithmen verstärken unsere natürliche Tendenz, uns mit Gleichgesinnten zu umgeben. Man könnte meinen, man startet auf einer neuen Plattform bei null, aber in Wahrheit wird man von den Algorithmen direkt wieder in dieselben Kreise zurückgeführt, als wäre man ein Hamster in einem Laufrad, das sich immer weiterdreht, ohne dass man wirklich vorankommt.

Am Ende fühlt sich das Internet deshalb oft gar nicht wie ein unendlicher Ozean an Möglichkeiten an, sondern eher wie ein kleines Dorf, in dem alle sich kennen und in dem man immer wieder denselben Leuten begegnet. Es ist kein Zufall, sondern das Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels aus Homophilie, sozialer Dynamik und algorithmischer Steuerung. Und während das auf der einen Seite etwas Beruhigendes hat, schließlich ist Vertrautheit nicht schlecht, wirft es auf der anderen Seite auch Fragen auf. Ist es wirklich gut, wenn wir uns immer wieder in denselben Kreisen bewegen, dieselben Diskussionen führen und uns in denselben Blasen bestätigen? Oder verpassen wir dabei die Chance, wirklich Neues zu entdecken und uns weiterzuentwickeln?

Vielleicht ist es an der Zeit, sich bewusst aus diesen Kreisen zu lösen, neue Themen zu erkunden und sich auch mal in digitale Ecken zu wagen, in denen nicht dieselben Gesichter auf einen warten. Oder man akzeptiert es einfach als Teil des digitalen Lebens und freut sich, wenn man das nächste Mal auf diesen einen Typen trifft, der seit zwanzig Jahren dieselbe Diskussion über die Überlegenheit von Vim gegenüber Emacs führt, und nur „Ah, du auch hier? Wie überraschend.“ sagt.

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