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Offline überleben im digitalen Zeitalter

Mir fiel kürzlich zwangsweise auf, wie still es in einer Welt ist, in der das WLAN nicht mehr blinkt. Nicht nur still im Sinne von kein Netflix, sondern still im Sinne von keine Kommunikation, kein Zugriff auf die heiße Phase der NBA Finals, keine Cloud, kein Bankkonto. Wer heute fünf Minuten offline ist, hält das oft für ein technisches Problem, dabei ist es meist ein strukturelles. Unsere gesamte digitale Existenz ist so dermaßen zentralisiert, dass schon ein simpler DNS Ausfall ausreicht, um halbe Kontinente in eine analoge Schockstarre zu versetzen. Und nein, Router neuzustarten hilft da nicht. In genau solchen Momenten wird klar, wie abhängig wir von einer Infrastruktur sind, die wir weder kontrollieren noch wirklich verstehen. Die wenigsten wissen, was eigentlich passiert, wenn die Cloud nicht mehr antwortet. Spoiler: Sie tut es schlichtweg nicht mehr. Und du tust dann auch nichts mehr, zumindest nichts Sinnvolles. E-Mails? Fehlanzeige. Wikipedia? Vergiss es. Messenger? Vielleicht, wenn du eine geladene Powerbank am Raspberry Pi mit Mesh-Netz, Briar-Client und etwas technischem Grundverständnis im Rucksack hattest, also nein.

Dabei gibt es längst Werkzeuge, die genau für solche Fälle gebaut wurden. Briar zum Beispiel ist ein Messenger, der über Bluetooth oder WLAN-Direct funktioniert, ganz ohne Internet. Ursprünglich für Aktivisten in repressiven Staaten entwickelt, funktioniert er aber genauso gut im Harz, wenn du bei einem Stromausfall Mutti fragen willst, ob sie noch ne Dose Ravioli für dich hat. Die Nachrichten werden Ende-zu-Ende verschlüsselt, Kontakte werden nur lokal hinzugefügt, und nichts verlässt das Gerät ohne dein ausdrückliches Zutun. Es gibt kein Tracking, keine Cloud, keine Metadatenhölle, einfach Kommunikation, wie sie im 21. Jahrhundert eigentlich Standard sein sollte. Die aktuelle Version von Briar läuft auf Android-Geräten ab Version 5.0 und bietet neben privaten Chats auch Gruppenchats, Foren und Blogs, alles komplett offline verfügbar. Für Desktop-Nutzer gibt es seit kurzem auch eine Beta-Version für Windows, macOS und Linux.

Wenn du technisch etwas versierter bist, kannst du dir sogar mit LoRa-Modulen und einem ESP32-Board ein eigenes Funknetzwerk aufbauen, das über mehrere Kilometer hinweg kleine Datenpakete verteilt. LoRa steht für „Long Range“ und ermöglicht es, Nachrichten über große Entfernungen mit sehr geringem Stromverbrauch zu senden. Das Open-Source-Projekt Meshtastic macht es besonders einfach, solche Netzwerke aufzubauen. Du flashst eine spezielle Firmware auf ein ESP32-Board mit LoRa-Modul, richtest ein verschlüsseltes Mesh-Netzwerk ein und kannst dann mit anderen Geräten kommunizieren, die dasselbe System nutzen. Natürlich kannst du damit keine Katzenvideos verschicken, aber für Textnachrichten reicht es locker und im Ernstfall kann eine einfache Textnachricht mehr Leben retten als der neueste TikTok-Filter.

Auch Wissen lässt sich offline speichern, wer hätte das gedacht. Kiwix zum Beispiel ermöglicht es dir, komplette Wikipedia-Zweige, Bücher oder Wikibooks auf einen USB-Stick oder eine Festplatte zu laden. Du brauchst kein Internet, kein Login, keinen nervigen Cookie-Banner, nur ein Gerät mit ausreichend Speicher und ein bisschen Neugier. Die aktuelle Version von Kiwix bietet sogar eine Suchfunktion innerhalb der gespeicherten Inhalte und verbessert die Wiedergabe von Videos. Die komplette deutsche Wikipedia mit Bildern benötigt etwa 44 Gigabyte Speicherplatz. Das ist eine Menge, aber für den Ernstfall gut investiert. Auch Kolibri, eine Plattform für Offline-Bildung, wurde ursprünglich für Schulen in Regionen entwickelt, in denen Netzabdeckung bestenfalls ein Gerücht ist. Sie funktioniert aber genauso gut auf einem Raspberry Pi zuhause. Kolibri bietet Lerninhalte in über 170 Sprachen und wird mittlerweile in vielen Ländern eingesetzt. Wenn du deinen Kindern also während eines Blackouts erklären möchtest, wie Photosynthese funktioniert, findest du dort die passenden Lernmodule, lokal und ohne Internet.

Technisch ist das alles keine Raketenwissenschaft. Ein Raspberry Pi, eine SD-Karte, eine Powerbank und optional ein kleines Solarpanel genügen, um deinen eigenen Offline-Server zu bauen, der auch bei Stromausfall nicht aufgibt. Auf so einem Server kannst du ein statisches Wiki, einen lokalen Webserver oder ein kleines NAS mit Musik, Büchern und Dokumenten betreiben. Das Low-Tech Magazine macht es vor. Die betreiben ihre Website ausschließlich solarbetrieben, mit statischen Seiten und ohne den üblichen JavaScript-Wahnsinn. Ein 50-Watt-Solarpanel liefert an sonnigen Tagen genug Energie, um den Server mit seinem Tagesbedarf von etwa 60 Wattstunden zu versorgen. Bei schlechtem Wetter geht die Seite offline, aber das ist Teil des nachhaltigen Konzepts. Weniger als 100 Prozent Verfügbarkeit ist in diesem Fall ein Zeichen von Nachhaltigkeit, weil so weniger Ressourcen für Batterien verbraucht werden. Ein Konzept, das sich wie eine Rebellion gegen moderne Webseiten anfühlt und genau deswegen funktioniert.

Sicherheit ist im Offline-Modus kein Luxus, sondern Pflicht. Tails ist ein Betriebssystem, das du von einem USB-Stick bootest und das keine Spuren auf dem Rechner hinterlässt. Es hat zwei Betriebsmodi. Im Online-Modus nutzt es das Tor-Netzwerk, um anonym im Internet zu surfen. Im Offline-Modus hingegen deaktiviert es alle Netzwerkfunktionen, sodass du sicher mit sensiblen Dokumenten arbeiten kannst, ohne dass Daten das Gerät verlassen. So bist du auch bei einem Internetausfall geschützt. VeraCrypt ergänzt das Ganze, indem es deine Daten auf Festplatten oder USB-Sticks verschlüsselt. Selbst wenn dein Gerät gestohlen wird, bleiben deine Daten sicher, weil sie ohne das richtige Passwort unlesbar sind. Die aktuelle Version von VeraCrypt unterstützt moderne Betriebssysteme und bietet sogar Schutz gegen Bildschirmaufnahmen.

Real-Life-Beispiele zeigen, dass solche Lösungen nicht nur Theorie sind. Nach dem Hurrikan Maria in Puerto Rico 2017 war das Mobilfunknetz wochenlang tot. Kleine Funkmodule namens goTenna, die man an Handys anschließen kann, bildeten spontan ein Mesh-Netz für Notrufe. Diese Geräte verbinden sich direkt miteinander und senden Nachrichten über mehrere Kilometer, ganz ohne Mobilfunknetz. In der Ukraine nutzen Menschen seit Beginn der russischen Invasion eine Mischung aus Offline-Datenträgern, Mesh-Lösungen und direkter Kommunikation, um trotz der schwierigen Lage in Kontakt zu bleiben. Und bei den Protesten in Hongkong 2019 chatteten Demonstrierende per Bridgefy über Bluetooth, weil das Internet und Mobilfunk eingeschränkt waren. Diese Systeme sind da, sie funktionieren, aber sie sind unbequem, genau wie alles, was echte Resilienz braucht.

Hier liegt das große Dilemma. Alle diese Beispiele funktionieren nur, wenn du sie vorher eingerichtet hast. Du kannst nicht erst dann anfangen, Wikipedia herunterzuladen oder Apps zu installieren, wenn das Internet bereits tot ist. Digitale Resilienz entsteht durch Vorbereitung. Du musst jetzt schon deine Daten sichern, Offline-Werkzeuge installieren und Kommunikationswege aufbauen. Es geht nicht darum, im Moment des Internetausfalls spontan noch schnell Inhalte zu holen, sondern darum, sich rechtzeitig ein digitales Backup und eine Offline-Kommunikation aufzubauen. Nur so kannst du verhindern, dass du komplett hilflos bist, wenn das Netz zusammenbricht.

Wenn du also glaubst, ein Offline-Szenario sei nur etwas für Prepper mit Aluhut, solltest du vielleicht mal 24 Stunden den Stecker ziehen. Nicht aus Protest, sondern als Selbstversuch. Du wirst merken, dass digitale Resilienz nicht aus Klopapierrollen und Vorratsdosen besteht, sondern aus Tools, Wissen und dem Willen, sich nicht komplett abhängig zu machen. Und dann kannst du entscheiden, ob du weiterhin brav die Cloud anbettelst oder ob du lieber dein eigenes, kleines, verdammt stabiles Netz spinnst.

5 Antworten auf „Offline überleben im digitalen Zeitalter“

Ich bin alt, aber noch nicht so alt um nicht mehr mitzubekommen, wie wir einem großen Blackout gegenüberstehen. Hoffen wollen wir das alle nicht, aber Anzeichen gab es in den letzten Jahren einige. Ich bin wie du weißt nun wirklich nicht gerade technisch bewandert, aber selbst ich weiß mittlerweile was eine DNS Störung ist.

Ein bisschen Vorsorge kann uns allen sicher nicht schaden, aber am Ende landen wir wie immer im Desaster und nieeeemand hätte das ja ahnen können..

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