Piehnat
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Blaumeise 3 - Wie die DDR ein Handy erfand

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Bevor du dein Smartphone heute wieder achtlos aufs Sofa pfefferst, denk mal kurz an die Zeit, als ein mobiles Telefon so viel wog wie eine Kiste Bier. Willkommen in der DDR der späten 1970er. Mein Geburtsland, das kaum moderne Konsumelektronik hatte, aber trotzdem ein eigenes analoges Mobilfunknetz entwickelte und dazu ein tragbares Funktelefon baute. Blaumeise 3. Kein Scherz.

Alles begann mit einem Deal, der klingt, als hätte ihn ein Kalter-Krieg-Drehbuchautor erfunden. In Mexiko suchte die Regierung damals nach einer drahtlosen Lösung für Dörfer ohne Telefonanschluss. In Ost-Berlin saßen Funktionäre auf Devisenproblemen und auf einem Haufen fähiger Funktechniker. Die Mexikaner wollten Funk statt Kupfer, robust, flexibel, für abgelegene Regionen. Die DDR witterte ihre Chance, maßgeschneiderte Technik gegen harte Dollar zu tauschen.

Der Mann hinter dem Projekt war Gottfried Schuppang, leitender Entwicklungsingenieur im VEB Funkwerk Köpenick. Er sollte aus dem Nichts ein komplettes Funknetz entwickeln und tat genau das. Später sagte er selbstironisch „Eigentlich war es Hochstapelei. Trotzdem überzeugte sein Prototyp die mexikanische Seite und setzte sich gegen westliche Konkurrenz durch, unter anderem gegen Motorola (USA), Telettra (Italien) und CSF-Thomson (Frankreich), weil Schuppang individuelle Wünsche erfüllen konnte, statt wie die Konkurrenz einfach nur Standardware auf den Tisch zu knallen.

Das Ergebnis hieß URTES, kurz für UHF-Radio-Telefonie-System. Ein analoges Funknetz im UHF-Bereich, heute denkt man da an Babyfone, damals war das High-Tech. Innerhalb von etwa 18 Monaten entstanden Sender, Empfänger, Relaisstationen und Teilnehmergeräte.

Die Netzstruktur war simpel, aber effektiv. Basisstationen standen auf Bergen und sendeten per Richtfunk ins normale Telefonnetz. In jedem Dorf gab’s ein Festnetztelefon, meist beim Bürgermeister. Improvisation gehörte dazu, denn vor Ort in Mexiko bestand so manches Haus aus Lehmwänden, die keine Schraube hielten. Also wurde gebastelt, geflucht und das Ganze per Jeep oder Esel angeliefert.

Das System war auf maximal etwa 120 Teilnehmer ausgelegt. Reichweite pro Funkzelle bis zu 40 Kilometer. Ein Netz für Behörden und Notdienste, nicht für Mutti, die schon wieder wissen will, was denn nun mit heiraten und Nachwuchs ist.

Staatsbesuch mit Funkverbindung

Im September 1981 besuchte Erich Honecker Mexiko. Und wie das bei solchen Anlässen läuft, wollte man mit DDR-Technik Eindruck schinden. Im Rahmen einer öffentlichen Demonstration telefonierte Honecker über das URTES-System mit dem mexikanischen Präsidenten José López Portillo. Live übertragen, natürlich mit propagandistischem Beigeschmack.

Ein besonders beeindruckter Politiker, der Gouverneur Alejandro Cervantes Delgado aus dem Bundesstaat Guerrero, soll daraufhin den Wunsch geäußert haben, ein solches Funkgerät als Statussymbol im Auto zu nutzen. Ob spontaner Einfall oder diplomatisch vorbereitet, lässt sich nicht mehr sicher sagen. Fakt ist, die DDR erfüllte den Wunsch. Eine Autoinstallation mit der eigens angepassten Funkstation UDS 721 U wurde gebaut und damit war die erste „Blaumeise 3“ im Fahrzeug geboren.

Ein DDR-Fernsehbericht zeigte den Prototyp stolz. Ein Koffer voller Antennen, Kabel, Wählscheibe, High-End inklusive Rückenschaden. historisches, tragbares Funktelefon des Typs Blaumeise 3 der DDRQuelle: MDR

Technik mit Stilbruch

Die UDS 721 U war kein Gerät fürs Handschuhfach, sondern eher fürs Kofferraumtraining. Sie funkte im UHF-Bereich mit bis zu 10 Watt Sendeleistung und schaffte unter Idealbedingungen rund 40 km Reichweite. Die Stromversorgung kam über 12 Volt aus dem Auto, gewählt wurde stilecht über eine Impuls-Wählscheibe wie beim Wandtelefon von Oma.

Das Gewicht ist je nach Quelle umstritten, meist wurden 5 bis 10 Kilogramm genannt. Zum Vergleich, Motorolas legendäres DynaTAC 8000x (1983) wog 790 Gramm, Nokias Talkman 320F (1984) rund 4,8 Kilogramm.

Blaumeise war nie eine offizielle Produktbezeichnung, sondern ein Rufzeichen, das während der Testphase verwendet wurde. Blaumeise 3 war eine interne Stasi-Kennung für die mobile Ausführung. Die korrekte Typenbezeichnung lautete UDS 721 U.

Warum die DDR sie nie nutzte

Klingt alles genial und war es auch. Nur Mobiltelefone passten nicht in den Überwachungsstaat. Ein echtes Mobilfunknetz hätte Bürger plötzlich mobil und schwerer kontrollierbar gemacht. Am besten noch ach Westdeutschland telefonieren, ohne Stasi-Ohr? Unvorstellbar.

Export, Erfolg und Funkstille

In Mexiko funktionierte das URTES-Netz tatsächlich zuverlässig. Dörfer bekamen Anschluss, die DDR kassierte Devisen und technisches Ansehen. Später gingen URTES-Systeme auch nach Algerien, Mosambik und Jemen. Die DDR-Techniker waren also global unterwegs, wenn auch oft unter Tarnnamen.

Interessanterweise gab es nach dem Zusammenbruch der DDR einen schwerwiegenden Mangel an Festnetz-Telefonkapazitäten in den neuen Bundesländern. In einem pragmatischen, wenn auch kurzlebigen Versuch, diese Lücke zu schließen, wurde ein URTES-Netz tatsächlich kurzzeitig innerhalb Ostdeutschlands eingesetzt. Dieser Heimatauftritt war jedoch nur von kurzer Dauer, da das westdeutsche analoge C-Netz schnell in die neuen Bundesländer ausgedehnt wurde und ab 1992 auch das digitale 2G-D-Netz dort aufgebaut wurde.

Ein Exemplar der UDS 721 U existiert bis heute, nicht im Staatsarchiv, sondern im Radiotechnik-Museum von Bernd Schmidl in Luckenwalde.

Die Blaumeise 3 bleibt ein Paradebeispiel für DDR-Erfindergeist und dafür, wie politische Kontrolle technischen Fortschritt ausbremste. Ein echtes Stück Kommunikationsgeschichte, das kaum jemand kennt.

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