Das Fediverse – Mehr als nur ein soziales Netzwerk

Das Fediverse – ein Begriff, der für viele neu klingt, aber unter der Oberfläche des Internets schon längst eine wachsende Bewegung darstellt. Genauer gesagt handelt es sich um ein sogenanntes Kofferwort, zusammengesetzt aus den englischen Begriffen „federated“ (föderiert) und „universe“ (Universum). Kurz gesagt: ein Netzwerk aus tausenden unabhängigen Servern, die miteinander verbunden sind und verschiedene Arten von Online-Diensten anbieten – ein bisschen wie ein riesiges Paralleluniversum für digitale Selbstbestimmung.

Die Ursprünge dieser Idee reichen zurück bis zu Projekten wie Laconica (später als StatusNet bekannt), die frühe Formen dezentraler sozialer Netzwerke erprobten und letztlich zur Entwicklung des heute dominierenden ActivityPub-Protokolls führten.

Im Gegensatz zu zentralisierten Plattformen wie X, Instagram oder Facebook wird das Fediverse von einer Vielzahl von Einzelpersonen, Organisationen und Gemeinschaften betrieben. Diese dezentrale Natur ist das Herzstück des Ganzen und bringt eine Menge Vorteile mit sich – und gelegentlich auch Freude an Technik, Freiheit und der Möglichkeit, sich datentechnisch nicht mehr von Silicon-Valley-Konzernen aussaugen und verkaufen zu lassen.

Die föderierte Struktur des Fediverse: Dezentral und doch verbunden

Wie funktioniert Föderation? Server, Instanzen und Protokolle

Stell dir das Fediverse nicht als eine einzige Website oder App vor, sondern eher wie ein riesiges Netzwerk aus vielen verschiedenen „Dörfern“ (also Servern oder Instanzen), die alle ihre eigenen Regeln, Kulturen und Schwerpunkte haben, aber dennoch miteinander reden können.

Jedes dieser Dörfer wird unabhängig betrieben und moderiert. Wenn dir die Atmosphäre in einem Dorf nicht zusagt – sei es, weil die Menschen dort seltsam sind oder weil das Thema dich nicht interessiert – kannst du theoretisch jederzeit in ein anderes Dorf umziehen. Je nach Plattform und Server gestaltet sich dieser Umzug mal reibungslos, mal umständlich.

Die Kommunikation zwischen diesen Servern wird meist durch offene Protokolle wie ActivityPub ermöglicht. Das ist quasi das Esperanto fürs Internet – eine gemeinsame Sprache, die es verschiedenen Arten von Software erlaubt, miteinander zu plaudern. Konkret bedeutet das: Nutzer-Handles sind serverübergreifend eindeutig (z. B. @nutzer@server), Posts und Profile werden mithilfe von Technologien wie WebFinger gefunden und Inhalte plattformübergreifend geteilt.

ActivityPub als Herzstück des Fediverse

ActivityPub ist das Standardprotokoll, auf dem die meisten bekannten Fediverse-Dienste basieren. Es definiert, wie Nutzerprofile, Beiträge, Interaktionen (Likes, Kommentare, Follows) über Servergrenzen hinweg funktionieren. Dadurch kannst du z. B. von einem Mastodon-Server Nutzer auf einem Pixelfed-Server erreichen, ohne dass du extra dort ein Konto brauchst.

Nicht alle Plattformen setzen ausschließlich auf ActivityPub. Manche, wie Friendica, sprechen zusätzlich auch ältere Protokolle wie Diaspora oder Zot. Friendica bot früher auch Brücken zu zentralisierten Netzwerken wie Facebook, deren Funktion heute allerdings stark eingeschränkt ist. Das Fediverse ist also nicht nur vielfältig, sondern auch ziemlich polyglott.

Meta und Threads: Big Tech klopft an die Föderationstür

Eine fragwürdige Entwicklung ist die teilweise Integration von Metas Threads in das Fediverse. Nutzer können ihre Profile föderieren und Beiträge plattformübergreifend teilen – allerdings ist diese Integration derzeit noch stark eingeschränkt und ermöglicht keine vollständige Interaktion mit allen Fediverse-Diensten.

Ob man sich darüber freut oder eher Stirnfalten bekommt, bleibt Geschmackssache. Fakt ist: Die Grenze zwischen klassischem Fediverse und großen Playern verschwimmt ein kleines bisschen. Persönlich sehe ich darin auch die Gefahr, dass große Konzerne Macht über dezentrale Netzwerke gewinnen oder Datenflüsse beeinflussen könnten, aber warten wir einfach mal ab.

Plattform-Vielfalt im Fediverse: Für jeden digitalen Geschmack etwas dabei

Mastodon: Der dezentrale Twitter-Ersatz Wer auf kurze, knackige Nachrichten steht, wird bei Mastodon fündig. Es ähnelt Twitter, legt aber stärkeren Fokus auf Community und durchdachtere Interaktionen. Beiträge heißen hier Toots und statt zu retweeten „boostet“ man Inhalte.

Pixelfed: Die datenschutzfreundliche Instagram-Alternative Pixelfed ist für die visuell Veranlagten: Eine dezentrale Alternative zu Instagram, die sich aufs Teilen von Bildern konzentriert – mit chronologischer Timeline, ohne Werbung, ohne Algorithmen, dafür aber mit Fokus auf Datenschutz.

Friendica: Das vielseitige soziale Netzwerk Friendica vereint viele Funktionen, die man von Facebook kennt, und bietet zusätzlich Brücken zu älteren Protokollen – praktisch, wenn man alte Kontakte nicht gleich abhängen will.

PeerTube: Dezentrales Video-Hosting ohne Algorithmus-Falle Wer lieber Videos schaut oder hochlädt, wird sich bei PeerTube wohlfühlen. Hier hosten unterschiedliche Instanzen Videos selbst, während Nutzer trotzdem plattformübergreifend interagieren können. Es fühlt sich an wie YouTube – nur eben selbstbestimmt und ohne Clickbait-Algorithmen.

Lemmy: Reddit-Alternative für dezentrale Diskussionen Diskussionsfreudige finden in Lemmy eine dezentrale Alternative zu Reddit. Thematisch sortierte Communities (Subreddits heißen hier „Communities“) laden zum Austauschen ein.

Funkwhale: Musik teilen im Indie-Spotify-Stil Funkwhale ist das Indie-Spotify für Föderationsfans. Du kannst Musik streamen, teilen und Playlists erstellen – alles dezentral, ohne Werbung und ohne nervige Lizenzblockaden.

Bluesky und ATProto

Der aufstrebende Newcomer in der Föderationswelt Bluesky wird oft im Kontext dezentraler sozialer Medien genannt. Es nutzt zwar nicht ActivityPub, sondern sein eigenes ATProto, wird aber regelmäßig als „Nachbar“ des Fediverse gehandelt, vor allem, wenn es um Interoperabilität geht. Technisch ein bisschen anderes Biotop, philosophisch oft ähnlich.

So findest du die passende Plattform und den richtigen Server

Was konsumierst du denn gern? Wähle zuerst die Inhaltsart: Text, Bild, Video oder Musik? Danach richtet sich deine Plattformwahl. Keine Sorge, egal ob du der Bildersammler, der Textakrobat oder der Videojunkie bist: Es gibt eine passende Heimat und so mancher nutzt einfach alles…

Innerhalb deiner gewählten Plattform suchst du dir dann einen Server aus. Jeder Server hat eigene Regeln, Moderation und Community-Schwerpunkte. Auf Mastodon gibt es z. B. Server für Techniknerds, Kunstliebhaber oder regionale Gruppen. Die gute Nachricht: Ein einziges Konto auf einem Server reicht aus, um Nutzer auf allen anderen Servern zu erreichen. Pokémon-mäßiges „alle sammeln“ ist also nicht nötig.

Falls du deinen Server später wechseln willst, kein Drama. Je nach Plattform ist ein Umzug mal angenehm (Mastodon hat gute Umzugstools), mal fummeliger (bei PeerTube z. B. eher sperrig).

Netiquette im Fediverse: Kulturelle Unterschiede und digitale Höflichkeit

Content-Warnungen und Alternativtexte

Rücksichtnahme leicht gemacht. Im Fediverse wird Content-Warnung (CW) gern genutzt, ich mag das. Damit versiehst du Inhalte, die sensibel, umfangreich oder einfach Off-Topic sind – z. B. Politik, Gewalt, Spoiler, lange Rants oder „Meta über das Fediverse selbst“. Nutzer können dann selbst entscheiden, ob sie klicken. Sehr angenehm, wenn man keinen Info-Overload will.

Alternativtexte (Alt-Text) für Bilder sind ebenfalls gern gesehen. Nicht nur für Barrierefreiheit, sondern auch weil’s schlicht höflich ist.

Moderation und Umgangston

Weniger toxisch als Big Tech? Beleidigungen, Herabwürdigungen und toxisches Verhalten werden in vielen Fediverse-Gemeinschaften konsequenter geahndet als auf den großen Plattformen, aber Ausnahmen bestätigen natürlich auch hier die Regel.

Interaktionen und Privatsphäre im Fediverse

Die Begriffe variieren ein wenig: Mastodon nutzt Toot, Boost und Favorisieren. Andere Plattformen sagen neutraler Posten, Teilen, Liken. Hinter den Kulissen läuft’s meist über ActivityPub-Standards wie Create, Announce, Like. Erwähnungen funktionieren überall mit @-Symbol.

Direktnachrichten gibt es auf vielen Plattformen, allerdings sind  Sie meist nicht Ende-zu-Ende-verschlüsselt. Private Daten solltest du also wie immer mit Bedacht teilen.

Beiträge kannst du in der Sichtbarkeit steuern:

Öffentlich = Sichtbar für alle

Nicht gelistet = Sichtbar, aber nicht in Timelines auftauchend

Nur Follower = Sichtbar für bestätigte Follower

Direkt/Privat = Quasi Direktnachricht (aber nicht verschlüsselt)

Zudem wichtig: Da jeder Server von unterschiedlichen Admins betrieben wird, gibt es keine zentrale Datenschutzgarantie. Serverbetreiber haben Einblick in Metadaten. Vertrauen und bewusste Auswahl des Servers sind daher wichtig. Auch DSGVO-Konformität hängt vom Serverstandort und dessen Betreiber ab.

Nützliche Ressourcen für den Einstieg

joinmastodon.org (Mastodon-Server finden)

fediverse.party (Plattformen im Überblick)

fedi.tips (Tipps für Einsteiger)

 

Long story short

Das Fediverse ist ein spannender, vielfältiger Ort für alle, die genug haben von datenhungrigen Konzernen, algorithmischen Filterblasen und digitaler Entmündigung. Es braucht ein bisschen Einarbeitung, aber die Belohnung ist echte digitale Freiheit und eine Community, die oft respektvoller und selbstbestimmter ist als vieles, was man von Big Tech gewohnt ist.

Wenn du neugierig bist: Such dir eine Plattform aus, probier’s aus und hab Spaß an echter digitaler Freiheit.

 

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