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ClassicPress vs. WordPress – Dinosaurier oder Transformer

Willkommen in der Welt der Content-Management-Systeme, wo „einfach bloggen“ schnell zur Lebensphilosophie wird – und zur Frage, ob du eher Oldschool oder Cutting Edge tickst. Auf der einen Seite: ein Veteran mit 20 Jahren Erfahrung und wachsender Midlife-Crisis. Auf der anderen: der rebellische Abkömmling, der sich 2018 dachte bis hierhin und keinen Block weiter – und seither sein eigenes Ding macht.

WordPress und ClassicPress. Beide verwandt, aber charakterlich wie Feuer und Wasser. Der eine entwickelt sich ständig weiter, der andere blieb bewusst stehen. Genau deshalb lohnt es sich, mal näher hinzuschauen, bevor du dich entscheidest, auf wessen Couch du deinen Blog betten willst.

Scheidungsgrund – Gutenberg

Der größte Unterschied? Der Editor. WordPress fährt heute fast ausschließlich mit dem Gutenberg-Blockeditor. Alles ist ein Block, und du darfst gefühlt für jeden Absatz entscheiden, ob er lieber floaten, sticky sein oder singen soll.

ClassicPress hingegen? Der gute alte TinyMCE-Editor lebt dort weiter. Du tippst Text ein, fett, kursiv, Link rein – fertig. Keine Blöcke, keine Überraschungen. Nostalgie pur. Für viele ist das Gold wert, weil’s einfach funktioniert und keine fünf JavaScript-Frameworks lädt, nur um einen Absatz zu stylen. Wer noch auf klassischen Text-Workflow steht, ist hier goldrichtig.

Technik unter der Haube: APIs, Plugins und Kompatibilität

Technisch ist ClassicPress lange auf dem Stand von WordPress 4.9 geblieben – mit dem Fokus auf Stabilität, Performance und Plugin-Kompatibilität.

2024 dann der große Knall: ClassicPress 2.0, Codename „Bella“. Ein neuer Fork, diesmal basierend auf WordPress 6.2.3 – natürlich weiterhin ohne Gutenberg, dafür aber mit einer Reihe moderner und sinnvoller Features. Mit an Bord ist nun der Site Health Check, HTML5 als Standardausgabe für Inhalte (was die Struktur semantischer und moderner macht – ein klarer Pluspunkt für SEO und Barrierefreiheit), sowie gezielte Verbesserungen im Bereich Accessibility, die das Backend für mehr Nutzer einfacher und zugänglicher gestalten. Auch in Sachen Sicherheit wurde nachgeschärft, und die verbesserte Unterstützung für PHP 8 sorgt für eine gesteigerte Performance und robustere Sicherheitsbasis. Zusätzlich wurde die Internationalisierungs-Architektur (i18n) überarbeitet, was die Übersetzung von ClassicPress selbst sowie von Themes und Plugins deutlich erleichtert.

WordPress dagegen? Hat sich weiterentwickelt wie ein Transformer mit Überfunktion. Voll auf Full Site Editing (FSE), React-Komponenten, theme.json für zentrale Theme-Konfigurationen und einem immer größeren Plugin-Ökosystem, das aber zunehmend auf Blöcke setzt. Klassische Plugins? Werden langsam zu Artefakten vergangener Zeiten.

Was Plugins angeht, ist die Lage gemischt: Viele moderne WordPress-Plugins laufen nicht mehr auf ClassicPress.

Aber: Es gibt Hoffnung. WooCommerce wurde für ClassicPress angepasst, ebenso RankMath SEO – jetzt unter dem Namen „Classic SEO“. Und es existieren sogar SEO-Plugins, die komplett neu für ClassicPress geschrieben wurden.

Für manche liegt hier aber der Hund begraben. ClassicPress hat inzwischen ein eigenes Plugin-Verzeichnis, aber das ist im Vergleich zum WordPress – Ökosystem eine kleine Besenkammer. Viele Themes und Plugins setzen heute auf Gutenberg und das bedeutet: Nicht kompatibel.

Wenn du also auf ClassicPress setzt, musst du dich auf Plugins und Themes beschränken, die entweder extra dafür gepflegt werden oder eben retrokompatibel geblieben sind. Für manche Projekte ist das perfekt. Für andere ein No-Go.

 

Community, Updates und Philosophie

ClassicPress wird community-getrieben entwickelt. WordPress hat mit Automattic eine Firma im Rücken, die auch kommerzielle Produkte und Support anbietet, womit der Fokus auch beim ansammeln schnöden Mammons liegt, was jetzt aber nicht direkt zu verurteilen ist. Open Source sind beide Projekte.

Im Fall ClassicPress bedeutet dies halt keine Monetarisierung, kleinere Entwickler-Teams, langsamere Updates, aber ein sehr transparenter Prozess. Die Devs setzen auf Kontrolle, Minimalismus und Vorhersehbarkeit. ClassicPress ist kein Rockstar. Eher der ruhige Typ, der deine Webseite seit fünf Jahren zuverlässig betreibt und dabei nicht einmal in der Error-Log auftaucht.

Stabilität ist hier kein Marketing-Slogan, sondern gelebte Praxis: Redundante Skripte wie jQuery wurden entfernt, das Backend läuft spürbar schneller, und auch in Sachen Abwärtskompatibilität legt ClassicPress die Latte hoch.

WordPress? Entwickelt sich wie ein hyperaktiver Teenager. Neues Release alle paar Monate, ständig neue Features, eine riesige globale Community, aber halt auch jede Menge „Bloat“, A/B-Experimente im Core und der ständige Druck, auf dem neuesten Stand zu bleiben.

 

ClassicPress oder WordPress – was passt besser?

Du willst wissen, was zu deinem Projekt passt? Hier eine kleine Entscheidungshilfe in feinster Küchenpsychologie:

ClassicPress ist für dich, wenn du:

  • keinen Bock auf Block-Editoren hast
  • alles unter Kontrolle behalten willst
  • ein stabiles, schlankes System suchst,
  • keine 50 fancy Plugins brauchst
  • einfach nur bloggen willst

 

WordPress ist für dich, wenn du:

  • den neuesten heißen Scheiß willst
  • Block-Layouts und Full Site Editing geil findest
  • viele fertige Lösungen brauchst (Shops, Pagebuilder, Memberships)
  • oder deine Seite in zwei Stunden online sein muss – am besten mit 15 Plugins und drei Popup-Overlays

Performance in 2 Sätzen

ClassicPress bringt rund 30MB auf die Waage, sein adipöser Cousin WordPress hingegen mittlerweile 75MB. Dank optimiertem ClassicPress-Code und reduzierten Datenbankabfragen laden sowohl Backend als auch Seiten schneller.

 

Der große Unterschied in 2 Sätzen

ClassicPress gibt dir Kontrolle und Ruhe. WordPress marschiert weiter in Richtung Baukasten 3.0. und gibt dir alles – und vielleicht zu viel.

10 Antworten auf „ClassicPress vs. WordPress – Dinosaurier oder Transformer“

Ich bin Anfang des Jahres von Textpattern auf ClassicPress gewechselt – WordPress schied für mich von vornherein aus, weil der Block-Editor mir für’s schnelle Bloggen viel zu sehr im Weg steht … Hab dann rasch zu schätzen gelernt, wie klein und flexibel ClassicPress auch für jemanden ist, der nach mit dem Einzug von Gutenberg bei WordPress aufgehört hat 😅 … Bin sehr happy insgesamt. Dein Text beschreibt die beiden unterschiedlichen Brüder sehr gut.

Am liebsten würd ich auf Htmly oder ähnliches komplett ohne Datenbank wechseln, aber Kommentare umziehen funktioniert nur wirklich zuverlässig mit Disqurs dort, was aber in Sachen DSGVO nen Albtraum ist. Und den Austausch hier löschen, nee.. Und selbst wenn ich mich für Htmly, Bludit, Publii oder ähnlich leichtes entscheide, sind sämtliche Verlinkungen von außerhalb weg, da jeder Post zb in Publii ne statische Seite wird, die zwar verdammt schnell und sicher sind, aber eben auch auf .html enden und nicht wie bisher… naja, wir werden sehen.

Danke Jan. So weit war ich neulich auch schon, aber nur Kommentare separat hosten, wollte ich eigentlich vermeiden. Fand es gut, dass Htmly das gleich als Plugin mitbringt und ich es nicht extra machen muss, aber naja, werd es einfach mal ausprobieren. Grüße

Was ich noch sagen wollte: mega gut, ich wusste das mit ClassicPress nicht und finde es aber ausgesprochen konsequent irgendwie. Bin mal gespannt wie sehr sich die Community terFORKen wird.

Grüße,
Jan

PPS: Ich fand das damals (und es ist lange her) schon scheiße als WordPress angefangen hat, seine Feeds zu kürzen. So eine beschiss’ner Kack. Ich meine, es stand immer alles in dem Feed eines Blogs. Alle Artikel. In voller Länge. Man konnte ihn abonnieren und lesen wie man wollte. Mit was man wollte. Dank WordPress wurde es Gang und Gäbe, den Feed zu kürzen um den Leser so zu zwingen, die Website für den „vollen Text“ besuchen zu müssen. Für Visits. Für Clicks. Dabei wurde aber schon ein großes Stück freies Web zerstört indem ich für meinen Fame den User zu etwas nötigte. Ich persönlich mag es im Feedreader zu bleiben. Auf Smartphone oder Desktop. Geht bei WordPress Weblogs aber nicht. Und weißt du warum? Weil es keiner zurück stellt. Die Option gibt es, wissen aber viele nicht. Anyways, genug ausgeflippt…

Ich muss diesen Rant gleich mal auch noch auf mein .microblog stellen. Dafür hab ich es ja!

PPPS: Und das war kein Angriff gegen dich, ge, sondern gegen so Technologiedinge die einfach passierenweil es jemand entscheidet und dann Stück für Stück Grundlagen verschieben.

Als würde ich das persönlich nehmen Jan, alles cool. Du hast ja völlig recht. Persönlich würde ich schon längst htmly oder so nutzen, weil ich was mit halbwegs anständigem Backend mag, sonst wäre ich längst auf Hugo. Aber zum einen wäre da die „Problematik“ meine Kommentare nicht oder nur auf nicht gerade DSGVO konforme Sachen wie Disqus umzuziehen, da ich Isso und co jetzt nicht extra auch noch hosten will. Der wichtigste Grund ist jedoch, dass ich fürn soziales Projekt, in dem ich mich engagiere Dinge wie neue Plugins bastle und auf meinem Blog einfach im Freiflug teste. Wenn da was kaputt geht, so what…

Da verstehe ich dich absolut, das sind wirklich schlüssige Argumente. Und du hast natürlich recht, ISSO selber hosten nervt. Es ist schon ganz cool ab und zu Dinge selbst zu hosten, macht ja auch Sinn, aber eigentlich ist es viel cooler, wenn bestimmte Sachen out of the Box gut funktionieren und man nicht noch extra Ärger damit hat. Wie grundsätzlich auch mit wofür.

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