Selfhosting ist kein Nerdkram – es ist digitale Selbstverteidigung

Du speicherst deine Urlaubsfotos bei Google. Deine Kontakte bei Apple. Deine Mails bei Microsoft. Deine Notizen bei irgendeinem hippen Startup, das von einer Venture Capital-Bude in Kalifornien finanziert wird, deren Lebensdauer kürzer ist als die deiner Zimmerpflanzen.
Und dann wunderst du dich ernsthaft, warum sich das alles manchmal wie ein Kartenhaus anfühlt?

Ganz ehrlich: Ich dachte früher auch, dass diese Leute, die ihre eigenen Server betreiben und bei jedem Gespräch „Datenschutz“ murmeln, schräge Nerds sind.
Typen, die in ihren Kellerlöchern mit alten ThinkPads rumfummeln und stolz erzählen, dass sie ihren eigenen Mailserver betreiben, während der Rest von uns einfach bequem Gmail nutzte.

Ich hab’s auf die harte Tour gelernt. Spätestens als mein Microsoft Account sich über Nacht in Luft auflöste oder MySpace(ja, ich bin alt) „versehentlich“ alle Nutzerfotos, Videos und Audiodateien, die zwischen 2003 und 2015 hochgeladen wurden, gelöscht hat. Ohne Backup oder Wiederherstellungsmöglichkeit.

Wenn du alles in fremde Hände legst, dann bist du abhängig. Von der Gnade multinationaler Konzerne, deren Geschäftsmodell nicht darin besteht, dir einen Gefallen zu tun.
Frag mal jemanden, dem Google aus heiterem Himmel den Account dicht gemacht hat. Kein Zugang mehr zu E-Mails, keine Fotos, keine Termine. Support? Haha. Wenn du Glück hast, darfst du einem schlecht trainierten KI-Chatbot deine Leidensgeschichte erzählen.

Die unsichtbaren Fesseln

Vielleicht denkst du jetzt: „Ach, ich komm schon weg, wenn mir der Dienst irgendwann nicht mehr passt.“
Schön wär’s. Willkommen beim sogenannten Vendor Lock-in.
Was harmlos als „praktisches Ökosystem“ verkauft wird, fühlt sich irgendwann an wie digitale Fesseln.

Wenn aber all deine Kontakte, Dateien, Termine und Notizen auf verschiedenen Diensten eines Großkonzerns verteilt sind, die butterweich ineinander greifen – genau das macht sie ja so verdammt bequem. Aber genau das ist der Haken: Dann ist der Umzug so attraktiv wie Zahnarztbesuche ohne Betäubung.

Du musst alles exportieren (wenn der Anbieter dir diese Funktion überhaupt großzügig anbietet), in neue Formate packen (und hoffen, dass dabei nichts kaputtgeht. Unweigerlich muss ich gerade an iPhone-Nutzer denken, die ihre HEIC-Fotos auf einen nicht Apple PC ziehen und sich wundern, warum da nix angezeigt wird.

Evernote und OneNote exportieren neben eigenem Dateiformat auch in HTML, aber verabschiede dich besser vom Wunsch, interne Verlinkungen, verschachtelte Anhänge und Struktur beizubehalten. Die Hürde wird mit jedem Jahr und jedem Bit, das du dort einwirfst größer.

Selfhosting durchbricht genau das: Du bist nicht auf proprietäre Formate oder wackelige Schnittstellen angewiesen. Du kannst Dienste wechseln, Daten sichern, Tools austauschen – ohne dass ein Anbieter die Daumenschrauben anzieht.
Du bleibst handlungsfähig. Auch morgen noch.

Die digitale Vergänglichkeit: Dienste sterben schneller, als du denkst

Es gibt aber noch eine zweite Falle: Dienste verschwinden. Einfach so. Nicht, weil du etwas falsch gemacht hast, sondern weil sie für den Anbieter schlicht nicht mehr genug Cash generieren und die armen Aktionäre  weinen.

Google hat in den letzten Jahren Dutzende Dienste beerdigt. Google+? Tot. Google Inbox? Tot. Picasa? Tot.
Und das sind nur die prominenten Beispiele. Kleinere Dienste von Startups verschwinden oft noch schneller.
Dann stehst du da. Deine Daten sind zwar meist noch da, aber selten in Formaten oder Strukturen, mit denen du sofort etwas anfangen kannst.

Picasa zb speicherte Alben und Tags in speziellen ini-Dateien. Die Fotos (JPGs) waren noch da, aber ganze Sortierungen und Metadatenstrukturen? Weg oder nur mit Geduld und Frickelei rekonstruierbar.

Selfhosting heißt: Du bist der Archivar deines digitalen Lebens.
Wenn du deine Dateien, Kalender und Kontakte selbst hostest, bestimmt kein Unternehmen über die Lebensdauer deiner Erinnerungen. Du entscheidest, wann etwas verschwindet und nicht die Geschäftspolitik eines Konzerns.

Du holst dir die Kontrolle zurück. Nicht, weil du ein paranoider Verschwörungstheoretiker bist, sondern weil es schlicht vernünftig ist.

Nimm Nextcloud. Damit hast du deine Fotos, Dateien, Kontakte, Notizen, Aufgabenlisten, alles auf deinem Server. Deinem. Nicht irgendeiner Blackbox in Irgendwohausen.
Oder Vaultwarden. Dein Passworttresor liegt damit bei dir, nicht auf einem Server, der irgendwann mal Opfer des nächsten Datenlecks wird, von dem du dann beiläufig in der c’t liest.
Und wenn du richtig Spaß haben willst: Pi-hole. Werbeblocker fürs ganze Heimnetz. Du wirst erstaunt sein, wie still und sauber das Netz plötzlich wird, wenn Google & Co. auf einmal nicht mehr bei jeder DNS-Anfrage mitlesen dürfen. Ruhe, die man hören kann.

Ja aber…

Jetzt kommt immer das Totschlagargument: „Aber das ist doch viel zu kompliziert!“ Ja, klar. So kompliziert wie ein IKEA-Regal. Docker-Compose starten, Anleitung befolgen, fertig. Du musst nicht Informatik studiert haben. Und nein, du musst auch nicht 24/7 Fehlermeldungen debuggen. Ich betreibe meine Nextcloud seit bald 10 Jahren, Updates klicke ich im Webinterface. Nicht schwerer als Windows-Updates, nur mit dem Unterschied, dass ich hinterher noch weiß, was passiert ist.

Natürlich kostet es etwas Aufwand. Natürlich musst du ein bisschen Verantwortung übernehmen. Aber weißt du was? Das tust du bei deinem echten Briefkasten auch. Oder lässt du fremde Leute regelmäßig deine Post sortieren?

Selfhosting heißt nicht, dass du sofort alles selbst machen musst. Fang klein an. Dein Kalender. Deine Notizen. Deine Passwörter. Jeder Dienst, den du zurückholst, ist ein kleiner digitaler Sieg. Nicht gegen „die da oben“, wie Aluhut-Bros gern sagen, sondern für dich.
Weil du entscheidest, wer deine Daten sieht. Und wann. Und wo sie gespeichert werden.

Es gibt diesen Spruch: „Wenn etwas kostenlos ist, bist du nicht der Kunde – du bist das Produkt.“
Ich erweitere ihn: Wenn du nichts selbst hostest, bist du nicht der Nutzer – du bist der Bittsteller.

Also: Hol dir deine digitale Souveränität zurück.
Nicht, weil’s hip ist. Sondern weil du sonst irgendwann feststellst, dass du im schönsten goldenen Käfig sitzt und der Schlüssel längst nicht mehr bei dir liegt.

Ein Kommentar

Rhea 12. Mai 2025 Antworten

Wunderbar zusammengefasst!

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