Piehnat

02 Dez, 2025

Vom Ende der endlosen Scrollerei

Wir leben in einem Internet, das angeblich alles auf uns zuschneidet. Hyperpersonalisiert. Hochoptimiert. Und trotzdem fühlt es sich immer mehr an wie ein überfülltes Einkaufszentrum kurz vor Weihnachten. Überall blinkt und schreit Werbung, und die Algorithmen wollen uns dauergrinsend in die nächste Daten- und Dauerkonsumfalle schubsen. Im Feed tauchen ständig Dinge auf, die angeblich zu uns passen sollen. Zum Beispiel dieses derbe geil aussehende Rezept für Weihnachtsplätzchen, das ich natürlich sofort speichere, weil ich fest davon überzeugt bin, dass ich dieses Jahr endlich diese perfekt glasierten Zimtsterne hinkriege. Und dann verschwindet das Rezept irgendwo in der digitalen Gruft zwischen den 9730 anderen Backideen, die ich natürlich nie im Leben ausprobieren werde.

Wir sammeln Inhalte, die uns für drei Sekunden begeistern, bevor der nächste Trend vorbeistürmt und uns wieder in seine Richtung zerrt. Aus Aufbewahren wird Vergessen. Und wir merken nicht einmal, dass wir gut kuratiertes Wissen gegen einen endlosen Strom von Zeug getauscht haben, der uns gedanklich kaum weiterbringt als der Gang durch ein Einkaufsregal voller Neu! Jetzt noch knuspriger! Packungen.

Währenddessen perfektionieren Meta, TikTok & Co. ihre ganz eigene Kunstform, die Enshittifizierung des Internets. Cory Doctorow beschreibt damit, wie Plattformen, die einst innovativ und nutzerfreundlich waren, Schritt für Schritt schlechter werden, während sie gleichzeitig gieriger werden. Im kapitalistischen Wettlauf um Gewinnmaximierung wird alles verschlechtert, was Kosten spart und die Rendite steigert. Aus „Bruder, eigentlich ganz cool hier“ wird schnell das innere „Junge, was hänge ich hier eigentlich noch rum?“, obwohl die Plattformen eigentlich nur eines wollen, uns möglichst lange festhalten. Die Feeds gleichen endlosen Copy-Paste-Katalogen, immer die gleichen Trends, dieselben Sounds, dieselben Meinungen, bis man sie kaum noch erträgt. Jeder Swipe, jeder Klick ist ein kleiner Tribut an die Werbegötter. Noch eine Ad-Impression hier, ein Trackingpixel dort. Algorithmen sollen uns Freiheit suggerieren, während sie uns wie Klebefallen im Netz fangen. Vielfalt, echtes Entdecken, gemeinsames Erleben? Nur solange es sich monetarisieren lässt.

Laut ifo Bildungsbarometer 2025 nutzen 90 % der Erwachsenen und 96 % der Jugendlichen täglich Social Media, 58 % der Erwachsenen und 78 % der Jugendlichen sogar mehr als eine Stunde. Trotz dieser hohen Nutzung würden 47 % der Erwachsenen lieber in einer Welt ohne Social Media leben. Außerdem sehen sowohl Erwachsene (77 %) als auch Jugendliche (61 %) deutliche negative Auswirkungen auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen durch Social Media.

Doch selbst diese hohen Nutzerzahlen täuschen nicht darüber hinweg, dass die Plattformen an Strahlkraft verlieren. Die ARD/ZDF-Medienstudie 2025 zeigt, das Wachstum stagniert, selbst bei vermeintlichen Erfolgsnetzwerken wie Instagram oder TikTok. Während X unter dem Raketenfascho massiv Nutzer verliert, wächst bei den anderen die Tagesreichweite kaum noch. Ein Zeichen, dass aus der anfänglichen Begeisterung längst eine müde Routine geworden ist.

Deshalb suchen immer mehr Menschen Orte im Netz, die sich nicht wie Shopping-Tempel anfühlen. Orte, die man nicht scrollt, sondern pflegt. Digitale Gärten. Gemeint sind damit sind persönliche Websites und Blogs, die wachsen dürfen wie ein echter Garten. Nicht perfekt, nicht linear, sondern mit verwilderten Ecken, Experimenten, unfertigen Ideen und ein paar Blumen, die einfach da sind, weil man sie schön findet. Kein SEO-Druck, kein Gefällt mir-Zirkus, kein Publiziere täglich, sonst stirbt deine Reichweite. Nur Gedanken, die reifen dürfen. Projekte, die einfach existieren. Rezepte, die man wiederfindet, wenn man sie wirklich backen will.

Der Begriff Garten ist dabei keine hipsterige Deko-Metapher. Er geht zurück ins Jahr 1998, als Mark Bernstein von Hypertext Gardens schrieb. Wissen, das sich vernetzt, statt in linearen Feeds unterzugehen. Mike Caulfield hat das Konzept später weiter ausgebaut, als Gegenentwurf zu einer Internetwirtschaft, die ständig beschleunigt und vereinfacht, bis nichts Bedeutungsvolles mehr übrig bleibt. Und Byung-Chul Han erinnerte mich in Lob der Erde daran, dass Wachstum Zeit braucht und dass wir diese Zeit nicht nur beim echten Basilikum auf der Fensterbank vergessen haben, sondern auch im Kopf.

Ein digitaler Garten kann alles sein. Eine kleine Notizsammlung, die öffentlich sprießt oder still im Hintergrund gedeiht. Ein Ort für Basteleien, für Backrezepte mit viel zu viel Zimt, für Retro-Gaming-Funde, für Ideen, die irgendwann groß werden oder auch nicht. Man pflegt ihn, man jätet hier und da, und man sieht zu, wie das eigene Denken Spuren hinterlässt. Langsam. Bewusst. Und erstaunlich befreiend.

Natürlich ist das alles keine Wunderlösung. Die großen Plattformen hören nicht einfach auf, uns zu manipulieren, nur weil wir uns plötzlich an CMS und eigene Domains erinnern. Die Aufmerksamkeitsökonomie läuft weiter, und wir müssen weiterhin Druck machen. Für transparente Algorithmen, bessere Datenschutzregeln und ein Internet, das seinen Nutzern gehört, nicht den Werbekunden. Aber wir können zumindest anfangen, uns kleine Oasen zurückzuholen.

Das Fediverse liefert den Community-Teil dazu. Orte wie Mastodon, Pixelfed oder Peertube, die ohne zentralen Konzern im Nacken funktionieren. Und digitale Gärten sind das ruhige Gegenstück. Unser eigenes Stück Land im Netz, in dem wir bestimmen, was wichtig ist. Nicht TikTok. Nicht Meta. Nicht irgendein Ranking. Wir.

Also Schluss mit dem endlosen Scrollen. Pack die Schaufel aus, pflanz ein paar Gedanken ein und wenn du damit fertig bist, back mir Zimtsterne und schick sie mir!

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